Wenig bekannt ist, dass die Osmanen Pioniere im Bereich des Tierschutzes waren. Sie gründeten einige der ersten Tierhospitäler der Welt und schufen ein System, das Tiere als schützenswerte Lebewesen betrachtete.
Gurabahane-i Laklakan: Das erste Storchenhospiz
Eines der bekanntesten Beispiele für den osmanischen Tierschutz ist das Gurabahane-i Laklakan („Storchenhospiz“), das im 19. Jahrhundert in Bursa errichtet wurde. Dieses Krankenhaus war speziell für die Pflege verletzter Störche gedacht, die während ihrer langen Zugrouten durch die Region flogen. Störche, die mit gebrochenen Flügeln oder anderen Verletzungen gefunden wurden, wurden hier medizinisch versorgt und gepflegt, bis sie wieder fliegen konnten. Das Gebäude war so konstruiert, dass es den natürlichen Bedürfnissen der Vögel entsprach, und es wurde zu einem Symbol für den Respekt vor der Natur.
Der Osmanische Dichter Ahmet Haşim widmete dem Storchenhospiz sogar ein literarisches Werk, in dem er die Schönheit und Bedeutung dieser Einrichtung beschrieb. Das Gurabahane-i Laklakan war nicht nur ein Ort der Heilung, sondern auch ein Ausdruck der osmanischen Philosophie, dass alle Lebewesen Respekt und Fürsorge verdienen.
Tierschutz als religiöse und kulturelle Pflicht
Der Tierschutz im Osmanischen Reich hatte tiefe Wurzeln in der islamischen Lehre, die den Respekt vor allen Geschöpfen betont. Der Prophet Muhammad soll gesagt haben: „Wer auch nur einem Sperling Gutes tut, dem wird Gott am Tag des Gerichts gnädig sein.“ Diese Haltung prägte die osmanische Gesellschaft und führte zur Gründung von Stiftungen (Vakıf), die sich der Versorgung von Tieren widmeten.

Diese Stiftungen finanzierten nicht nur Tierhospitäler, sondern auch Futter- und Wasserstellen für streunende Hunde, Katzen und Vögel. In Istanbul gab es beispielsweise Stiftungen, die täglich frisches Brot für streunende Hunde bereitstellten. Auch Wasserstellen, sogenannte Sabil, wurden errichtet, um durstigen Tieren in den heißen Sommermonaten zu helfen.
Tierfreundliche Architektur
Die Osmanen integrierten den Tierschutz sogar in ihre Architektur. An vielen Moscheen, Palästen und öffentlichen Gebäuden wurden Vogelhäuser (Kuş Evleri) angebracht. Diese kleinen, oft kunstvoll gestalteten Strukturen boten Vögeln Schutz und Nistplätze. Sie waren nicht nur funktional, sondern auch ein Ausdruck der osmanischen Ästhetik und Tierliebe.
Ein weiteres Beispiel für tierfreundliche Architektur sind die Katzenmoscheen (Kediler Camii Mescidül-Kıtat) im Osmanischen Damaskus, in denen streunende Katzen gefüttert und gepflegt wurden. Diese Tradition setzte sich bis ins 20. Jahrhundert fort, als der Direktor der Beyazıt-Bibliothek in Istanbul Hunderte von Katzen versorgte.
Gesetzlicher Schutz für Tiere
Die Osmanen gingen noch einen Schritt weiter und erließen Gesetze zum Schutz von Tieren. Sultan Murad III. soll im 16. Jahrhundert die weltweit erste Tierschutzdeklaration herausgegeben haben, die den Umgang mit Tieren regelte und Grausamkeit verbot. Menschen, die Tiere misshandelten, wurden bestraft, und es gab spezielle Regelungen, um sicherzustellen, dass Lasttiere wie Pferde und Esel nicht überlastet wurden.
Ein Erbe des Mitgefühls
Die osmanischen Tierhospitäler und Stiftungen waren ihrer Zeit weit voraus. Sie zeugen von einem tiefen Verständnis für die Bedürfnisse von Tieren und einem Respekt vor dem Leben, das bis heute beeindruckt. Diese Traditionen haben das kulturelle Erbe der Türkei und anderer Nachfolgestaaten des Osmanischen Reiches geprägt und sind ein wichtiger Teil der globalen Geschichte des Tierschutzes.
Quellenangaben:
- Ahmet Haşim, Gurabahane-i Laklakan (Literarisches Werk über das Storchenhospiz).
- Necdet Sakaoğlu, Bu Mülkün Sultanları (Historische Analyse osmanischer Stiftungen und Tierschutz).
- Suraiya Faroqhi, The Ottoman Empire and the World Around It (Studie über osmanische Kultur und Gesellschaft).
- Evliya Çelebi, Seyahatname (Reiseberichte, die tierfreundliche Praktiken beschreiben).
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İlber Ortaylı, Osmanlı’yı Yeniden Keşfetmek (Historische Einblicke in das Osmanische Reich).
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