Tomiris, auch bekannt als Tomyris, ist eine legendäre Gestalt aus der Geschichte der Steppenvölker Zentralasiens. Als Königin der Massageten, einem nomadischen Stamm, der etwa im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte, ist sie vor allem für ihren heldenhaften Widerstand gegen den persischen König Kyros II. (Cyrus den Großen) bekannt. Ihre Geschichte symbolisiert nicht nur die Kraft und den Mut einer Frau in einer patriarchalisch dominierten Welt, sondern steht auch für den Widerstand der Nomadenvölker gegen die Expansionsbestrebungen der großen Reiche.
Wer waren die Massageten?
Die Massageten gehörten zu den Steppenvölkern, die entlang des Kaspischen Meeres und der Aralseeregion lebten. Sie waren Nomaden, deren Lebensweise stark von der Viehzucht geprägt war. Die steppenbewohnenden Massageten waren Teil einer größeren kulturellen und ethnischen Landschaft, die sich über Zentralasien und Teile des heutigen Kasachstans, Usbekistans und Turkmenistans erstreckte.
Obwohl ihre Lebensweise als primitiv im Vergleich zu den sesshaften Hochkulturen Mesopotamiens oder Persiens galt, waren die Massageten äußerst geschickt in der Kriegskunst. Sie beherrschten die Kunst des Reitens und waren für ihre schnellen und effektiven Kavallerieangriffe gefürchtet. In ihrem Stammesverband hatten Frauen eine besondere Stellung, die sich auch in den Legenden um Tomiris zeigt.

Die Zeit der Konfrontation: Persien gegen die Nomaden
Die Epoche, in der Tomiris lebte, war von den Expansionen des Persischen Reiches geprägt. Kyros II., der Gründer des Achämenidenreichs, hatte bereits große Teile Mesopotamiens und Kleinasiens erobert und richtete seine Aufmerksamkeit auf die Gebiete jenseits des Kaspischen Meeres. Er sah in den Nomadenvölkern, wie den Massageten, sowohl eine Bedrohung als auch ein potenzielles Ziel für seine Expansion.
Die Quellen berichten, dass Kyros versuchte, die Massageten durch Diplomatie zu unterwerfen, doch Tomiris durchschaut seine Absichten und lehnte ein Angebot zur Eheschließung mit ihm ab. Diese Ablehnung führte schließlich zur offenen Konfrontation, die in einer der epischsten Schlachten der Antike endete.
Der Kampf zwischen Tomiris und Kyros II.
Die Berichte über die Schlacht zwischen Tomiris und Kyros stammen vor allem aus den Aufzeichnungen des griechischen Historikers Herodot. Kyros II. plante, die Massageten durch List zu besiegen. Er ließ ein scheinbar ungeschütztes Lager mit Wein und Luxusgütern zurück, in das die Massageten einfielen und sich durch den ungewohnten Alkoholkonsum schwächten. In dieser Situation griff Kyros an, nahm viele Gefangene und tötete Tomiris’ Sohn, Spargapises, der sich in persischer Gefangenschaft das Leben nahm.
Der Verlust ihres Sohnes brachte Tomiris dazu, eine blutige Rache zu schwören. Sie sammelte ihre Truppen und stellte sich den Persern in einer zweiten Schlacht, in der Kyros selbst getötet wurde. Herodot berichtet, dass Tomiris den Kopf von Kyros in einen mit Blut gefüllten Weinschlauch werfen ließ, um ihm symbolisch das Blut zu geben, nach dem er so sehr dürstete.
Die Bedeutung von Tomiris für die heutigen Zentralasiaten
Tomiris gilt bis heute als Symbol für Widerstand und nationale Unabhängigkeit. Besonders in Kasachstan und anderen zentralasiatischen Ländern, die einst unter der Herrschaft von Nomadenkulturen standen, wird sie als nationale Heldin verehrt. Ihre Geschichte wird oft als Metapher für den Widerstand gegen äußere Einflüsse und für den Stolz der eigenen Kultur erzählt.
Nach der Unabhängigkeit Kasachstans von der Sowjetunion wurde Tomiris zu einer zentralen Figur in der kasachischen Geschichtsschreibung und nationalen Identität. Ihre Gestalt ist allgegenwärtig – sei es in Denkmälern, Literatur oder populären Medien. So gilt sie nicht nur als Vorfahrin der kasachischen Nation, sondern auch als Ikone der Stärke und des Mutes.
Die Rolle der Frauen bei den Nomadenvölkern
Die Geschichte von Tomiris zeigt deutlich, dass Frauen bei den Nomadenvölkern Zentralasiens eine zentrale Rolle spielten. Anders als in vielen sesshaften Kulturen dieser Zeit, in denen Frauen oft auf die häusliche Sphäre beschränkt waren, hatten sie bei den Steppenvölkern eine starke Stellung. Frauen wie Tomiris führten Krieger an, trafen politische Entscheidungen und standen ihren männlichen Gegenstücken in nichts nach.
Auch in der heutigen zentralasiatischen Kultur hat diese historische Rolle der Frauen Spuren hinterlassen. Frauen in Kasachstan, Usbekistan und anderen Ländern der Region werden oft als Hüterinnen der Traditionen und als Symbole der nationalen Identität angesehen.
Buchempfehlungen zu Tomiris und den Massageten:
1. “The Scythians: Nomad Warriors of the Steppe” von Barry Cunliffe
•Dieses Buch befasst sich mit den verschiedenen nomadischen Steppenvölkern der Antike, zu denen auch die Massageten gehören. Cunliffe beschreibt die Lebensweise, Kultur und militärischen Strategien dieser Völker und geht dabei auch auf die legendären Geschichten ein, darunter Tomiris’ Sieg über Kyros II.
2. “The Persian Empire” von Lindsay Allen
•Während dieses Buch sich hauptsächlich mit dem Persischen Reich beschäftigt, enthält es wichtige Informationen über Kyros II. und die kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Nomadenvölkern, insbesondere den Massageten und ihrer Königin Tomiris. Es bietet auch einen Einblick in die Bedeutung dieser Schlacht für die persische und zentralasiatische Geschichte.
3. “Empires of the Silk Road: A History of Central Eurasia from the Bronze Age to the Present” von Christopher I. Beckwith
•Dieses Buch liefert eine umfassende Geschichte Zentralasiens und erklärt die Bedeutung der Nomadenvölker für die regionale und globale Geschichte. Tomiris und die Massageten werden im Kontext der Steppenvölker behandelt, die eine wichtige Rolle bei der Formung der Geschichte der Region spielten.
4. “The World of the Scythians” von Renate Rolle
•Ein großartiges Buch über die Kultur der Skythen und verwandter Nomadenstämme wie die Massageten. Es beschreibt nicht nur die Kriegsführung und Gesellschaft dieser Völker, sondern gibt auch einen Überblick über ihre mythologischen Vorstellungen und die Stellung von Frauen wie Tomiris.
5. “Women Warriors: An Unexpected History” von Pamela D. Toler
•Dieses Buch widmet sich berühmten Frauenkriegern aus verschiedenen Kulturen und Epochen. Tomiris wird als ein Beispiel einer weiblichen Anführerin genannt, die in der Kriegsführung erfolgreich war und eine starke politische Rolle innehatte.